Spandauer Thesen - These 9

 

Das neue Bündnis im Kampf für gute Arbeit

Gewerkschaften und soziale Bewegungen können sich verständigen: Ohne gute Arbeit und sozialstaatlich abgesicherte Teilhabemöglichkeiten gibt es keine nachhaltige Entwicklung und Demokratie!

Der Kampf für gute Arbeit bietet sich als Bündnisprojekt zwischen Gewerkschaften, kritischer Wissenschaft und sozialen Bewegungen an: Eine gute Arbeit, in der das unantastbare Recht auf Menschenwürde gewahrt bleibt, die Gesundheit erhalten wird und arbeitspolitische Beteiligungsmöglichkeiten bei ihrer Humanisierung bestehen, ist nicht nur die Bedingung für eine Demokratie, in der sich aktive Beteiligungsrechte weiterhin auf Teilhabe an Arbeit gründen. Sie ist auch die Bedingung für dauerhafte Qualitätssicherung und ein hoch produktives Innovationssystem als Voraussetzung für den Umbau der Wirtschaft nach den Kriterien der Nachhaltigkeit.

Der Kampf für eine gute Qualität der Erwerbsarbeit als solcher ist gut dazu geeignet,

Kriterien der Arbeitsgesundheit und der Humanisierung des Arbeitslebens mit Forderungen nach einer entsprechenden gesellschaftspolitischen Gestaltung der im Leben der abhängig Arbeitenden vor- und nachgelagerten Bereiche (Bildungswesen, Familien- und Geschlechterverhältnisse) insbesondere unter Gesichtspunkten der Gender-Gerechtigkeit, sowie mit den Anforderungen an eine gute, ökologisch verträgliche und sozial nützliche Qualität der Produkte zu verbinden.

Die Entwicklung entsprechender Forderungen und konkreter Initiativen bietet daher ein vorrangiges Terrain, zur Entwicklung und Festigung von neuen Bündnissen zwischen vor allem in den Bereichen der Erwerbsarbeit und vorwiegend in den bisher gesellschaftlich unsichtbaren Bereichen der gesellschaftlichen Gesamtarbeit Tätigen, sowie zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen.

 

Begründung

Der Kampf für gute Arbeit bietet sich als Bündnisprojekt zwischen Gewerkschaften, kritischer Wissenschaft und sozialen Bewegungen an: Eine gute Arbeit, in der das unveräußerliche Recht auf Menschenwürde gewahrt bleibt, die Gesundheit erhalten wird und arbeitspolitische Beteiligungsmöglichkeiten bei ihrer menschengerechten Gestaltung bestehen, ist nicht nur die Bedingung für eine Demokratie, in der sich aktive Beteiligungsrechte weiterhin auf Teilhabe an Arbeit gründen.

Gerade, wenn klar ist, dass Prekarität der Sache nach der kapitalistisch bestimmten Lohnarbeit nicht äußerlich ist, sondern bei jeder politischen Regulierung der Arbeit, insbesondere unter dem Druck einer immer wieder anwachsenden ‚industriellen Reservearmee’ immer wieder von Neuem zu entstehen droht, wird klar, dass eine konsequente und wirksame gewerkschaftliche Interessenvertretung sich nicht auf die immer noch stabilen Bereiche regulierter Arbeit zurückziehen kann. Umgekehrt wäre aber auch eine Abwendung von den Kernbereichen der Wertschöpfung ein strategischer Fehler, da auf der Mobilisierung der in ihnen arbeitenden Lohnabhängigen letztlich die gewerkschaftliche Schlagkraft beruht. Mit dem Konzept der ‚guten Arbeit’ wird ein für unterschiedliche Bereiche der Prozessen der Fragmentierung und Polarisierung unterworfenen abhängigen Arbeit gemeinsames Feld erschlossen, auf dem neue Verknüpfungen und Bündnisse möglich werden – vor allem, indem neue qualitative Forderungsstrukturen erarbeitet werden, welche dazu in der Lage sind, auch unterschiedliche Interessenlagen in einer gemeinsamen Regulierungsperspektive zu bündeln.

Der Neoliberalismus untergräbt nicht nur das Grundrecht auf Menschenwürde in der Arbeit und die grundgesetzliche Verpflichtung arbeitspolitischer Programme auf humane Zielsetzungen und paritätische Organisationsformen, er führt auch zu nachlassender Qualitätssicherung, sichtbar z. B. an Rückrufaktionen, zur Schwächung der gesellschaftlichen Innovationsdynamik und zu Stagnation und Krise.

In einer hoch-produktiven Produktionsweise erfordern die steigenden Anforderungen an die Qualität der Arbeit, gerade auch um die europäischen Nachhaltigkeits- und Wettbewerbsziele zu erreichen, erst recht einen demokratischen Sozialstaat, der den sozialen Zusammenhalt zu sichern in der Lage ist und allen eine gute Ausbildung und Möglichkeiten zum lebenslangen Lernen und aktiver Teilhabe bietet.

Als erste Schritte auf dem Weg der erforderlichen Transformation lassen sich benennen: Eine radikale Verkürzung der heutigen Erwerbsarbeitszeit; eine ebenso radikale Umverteilung zwischen der „männlichen“ Erwerbsarbeit und der „weiblichen“ Versorgungsarbeit, eine Aufwertung der bestehenden Versorgungsarbeit und der neu zu gestaltenden Arbeiten zur Unterstützung der natürlichen Prozesse, sowie eben eine qualitative Neugestaltung der bestehenden Erwerbsarbeit als ‚gute Arbeit’. Das beinhaltet von Seiten der sozialen Dimension Autonomie in der Arbeit und gesellschaftliche Anerkennung durch Löhne mit viel geringeren Unterschieden als wir sie heute kennen. Aus ökologischer Perspektive heißt das u.a. die Steigerung der Ressourcenproduktivität durch die Entwicklung neuer Produktionsverfahren, in denen von vornherein auch an die Wiederverwendung der Rohstoffe gedacht wird (neue Geschäftsfelder für KMU). Ökologische Dienstleistungen, ökologische Modernisierung, Reparatur und Wartung sind ein weiterer Bereich. Hinzu kommt die Entwicklung ganz neuer Arbeitsprozesse im Zusammenhang mit der Rückführung der Reststoffe und dem entsprechenden Rückbau der Produktreste. Ein anderes Feld ist der Ausbau der ökologischen Landwirtschaft, der aufgrund deren Arbeitsintensität zu vermehrten Erwerbsarbeitsplätzen führt. Energetische Grundlage all dessen ist der Ausbau der Solarindustrie und des Solarhandwerks. Grundlage dieser ersten Schritte im Transformationsprozess ist eine ständige Qualifizierung und Weiterbildung. Auch dafür ist mehr verfügbare Zeit für alle erforderlich.

Das Grundgesetz verpflichtet staatliche Gewalt, die von ihm als unantastbar postulierte Menschenwürde zu sichern. Sie hat diesem Grundsatz auch in allen Arbeitsverhältnissen Geltung zu verschaffen. Als demokratischer und sozialer Bundesstaat (Art. 20 GG) ergibt sich eine bindende Ausrichtung arbeitspolitischer Programme auf humane Zielsetzung und paritätische Organisationsform.

Durch die Globalisierung als reale ökonomische Tendenz sowie durch die Ideologie und Politik des Globalismus, durch die Transformation des keynesianischen Wohlfahrtsstaats zum marktregulierten Wettbewerbsstaat, durch den arbeitsmarktpolitischen Rückbau und die dadurch beförderte Ausbreitung von prekären Beschäftigungsverhältnissen, verschlechterten Arbeitsbedingungen und entgrenzten Leistungsanspannungen in vermarktlichten Arbeitsbeziehungen, durch die steigende Erwerbslosigkeit, steigenden Nachfrage- und Einnahmensausfälle und die erhöhte Differenzierung von Arbeits- und Lebensverhältnisse und die dadurch geschwächten Gewerkschaften, wurden die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse verschoben, die Projekte der Humanisierung der Arbeit ermöglicht hatte.

Die Tendenz zur finanzmarktgetriebenen Akkumulation führte bei der Kapital-Seite zur Ausrichtung an kurzfristigen Rendite-, Wert- und Dividendensteigerungen und zum Schwinden sozialpartnerschaftlicher Einstellungen. Auf der Seite der Arbeit führt der steigende Druck in der Arbeit, als auch das größere Risiko, herabgestuft und dequalifiziert zu werden, sowie den Arbeitsplatz zu verlieren und dann sozialstaatlich weniger abgesichert zu sein, zu einer zwar innerhalb der Arbeitnehmerschaft abgestuften, doch insgesamt verallgemeinerten Unsicherheit und zu spontan verschärften Konkurrenzorientierungen.

Beides senkt die Qualitätssicherung, die doch bei verschärftem Wettbewerb eher wichtiger geworden ist.

Fallende Löhne bei einer wachsenden industriellen Reservearmee nehmen gleichzeitig den Druck, Innovationspotentiale auszunutzen. Steuer- und sozialpolitische Konterreformen verschärfen noch die staatlichen Einnahmeausfälle, so dass eine wissensgesellschaftlich gebotene breit fördernde Bildungspolitik als nicht mehr finanzierbar erscheint und durch eine hoch selektive bildungs- und forschungspolitische Wettbewerbs-, Leuchtturm- und Elitenförderung ersetzt wird. Das macht es wiederum unmöglich, Qualifikations-, Beschäftigungs- und Flexibilitätspotentiale auszuschöpfen. Stagnation, weiterer Sozialstaatsabbau und die verschärfte Ausrichtung von Unternehmen an kurzfristiger Erhöhung der Liquidität bei drohendem Schwinden derselben sind die Folgen. Dies alles droht unsere Demokratie weiter auszuhöhlen, die aktive, sozialstaatlich abgesicherte Teilhabe braucht.

Die europäischen Wettbewerbs- und Nachhaltigkeitsziele können immer weniger erreicht werden. Letztere werden durch die Unterordnung unter die Wettbewerbsziele zunehmend zur bloßen Rhetorik ausgehöhlt.

Auf europäischer Ebene wären jedoch umfassende Re-Regulierungen wieder möglich. Wieder regulierte Arbeitsmärkte könnten die Produktivität steigernde Lohnstrategien ermöglichen.

Sie erzeugten angebotsseitig einen Druck auf Qualitäts- und Innovationspotenziale und auf der Nachfrageseite eine steigende Massenkaufkraft mit der Folge höherer Kapazitätsauslastungen, Wachstumseffekten und staatlichen Einnahmesteigerungen. Ein nachhaltiger Umbau der Wertschöpfungsketten und der Art der Verkopplung von Produktions- und Reproduktionsketten würde ermöglicht, der langfristig angelegte Kreativitätspotentiale und neue Märkte erschließen würde. Arbeitspolitische Programme wären wieder durchsetzungsfähig, die jedoch stärker, als bisher, bei ihrer Ausgestaltung und Implementation ihren gesellschaftlichen Bedarf durch die Betroffenen und ihre Vertretungen selbst zu bestimmen hätten, wie es von der IG Metall in arbeitsschutz- und beschäftigungspolitischen Feldern, aber auch im Memorandum der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft zum Strukturwandel der Arbeit artikuliert wurde.

Der Kampf für gute Arbeit innerhalb des Systems der Erwerbsarbeit ist darüber hinaus gut für eine Verknüpfung mit Forderungen nach einer entsprechenden gesellschaftspolitischen Gestaltung der Bedingungen für eine geglückte Balance mit vor- und nachgelagerten Bereiche (Bildungswesen, Familien- und Geschlechterverhältnisse). Insbesondere unter Gesichtspunkten der Gender-Gerechtigkeit, sowie mit den Anforderungen an eine gute, ökologisch verträgliche und sozial nützliche Qualität der Produkte ist das bedeutsam.Entsprechende konkrete Initiativen böten daher gute Chancen zur Entwicklung und Festigung von neuen Bündnissen. In ganz neuen Formen könnten in ihnen z.B. auch bisherige Trennungen der Interessen von ProduzentInnen und KonsumentInnen überwunden werden. Und wieder wäre bei allen diesen Fragen Netzwerkpolitik eine neue Organisationsform (Knoten statt Zentren, reversible Lernprozesse, gesteigerte Unabhängigkeit aber auch wachsendes Vertrauen, erweiterte Perspektiven), die Chancen eröffnen könnte, Arbeitspolitik als einen Prozess zu entfalten, in dem Politik die Begrenzungen partialer Interessen überschreitet.

 

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