Spandauer Thesen - These 1
Eine neue Konstellation der kapitalistischen Produktionsweise
Die „neoliberale Revolution“ der Gegenwart ist aus der Entwicklungsdynamik des Kapitals entstanden, – auch aus Grenzen der Kapitalverwertung und entsprechender Krisen - , und versucht darauf ökonomische und politische Antworten zu geben. Diese Antworten stellen den wohlfahrtsstaatlich regulierten Nachkriegskapitalismus radikal in Frage. In der technologi-schen und organisatorischen Umwälzung des Produktions- und Arbeitssystems von der fordistischen Massenproduktion hin zur computergestützten flexiblen Automation und Informationsverarbeitung hat dieser soziale Prozess seine Grundlage. Der Automatisierung von Krafterzeugung und Kraftübertragung im 19. und 20. Jahrhundert folgte in den letzten Jahrzehnten die Automatisierung von Informations- und Wissensverarbeitung, was eine neue Konstellation kapitalistischer Produktionsweise konstituierte.
Dieser Prozess zunehmend neuer Formen der Kapitalakkumulation hat Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts eingesetzt, ist vom Finanzkapitalmarkt getrieben und hat eine immer umfassendere Marktsteuerung aller sozialen Beziehungen zur Folge. Neoliberale Politikkonzepte zielen auf eine systematische Zersetzung der sozial erkämpften Institutionen der Arbeit (Sozialversicherungen, Sozialgesetzgebung, Mitbestimmung usw.) und kündigen den wohlfahrtsstaatlichen Klassenkompromiss auf.,
Begründung
Seit dem Ende der kurzen „goldenen Jahrzehnte“ des Fordismus um die Mitte der 1970er Jahre sind wir Zeugen fortschreitender, beschleunigter gesellschaftlicher Umbrüche. In Reaktion auf neu artikulierte Bedürfnisse und Interessen der Menschen wie insbesondere auf wachsende Probleme, eine hohe Profitabilität eingesetzten Kapitals vom Standpunkt der Shareholder sicherzustellen, werden seither neue Formen der Kapitalakkumulation durchgesetzt. Wir erleben eine immer einseitiger und nachdrücklicher kapitalmarktgetriebene Globalisierung der Ökonomie. Eine radikale Marktsteuerung aller sozialen Beziehungen ist im Gange. An die Stelle des alten Sozialstaats tritt immer stärker ein neuer ‚Wettbewerbsstaat‘. Neoliberale Politikkonzepte betreiben eine fortschreitende Erosion der institutionell verfassten Arbeitsgesellschaft. Ein weiterer Abbau noch verbliebener sozialer Sicherungen droht.
Die ökonomischen Formen, in denen sich die Akkumulation des Kapitals vollzieht, haben sich seit den 1970er Jahren stark verändert: Auch wenn sich bisher kein vergleichbar kompaktes ‚Akkumulationsmodell’ herausgebildet hat, lassen sich bereits eine ganze Reihe von Bestimmungen herausarbeiten, die eine neue Konfiguration der Kapitalakkumulation kennzeichnen.
Hierher gehören eine zunehmende Transnationalisierung von Wertschöpfungsketten, begleitet von einer weitreichenden Verschiebung der Hegemonialverhältnisse am Pol des Kapitals – vom Spitzenmanagement und insbesondere den Produktionsabteilungen zu den Eigentümern und den Finanz-Controllern als deren Repräsentanten. Angesichts einer weltweiten Tendenz zu einem nach neuen Anlagemöglichkeiten suchenden Angebots an überschüssigem Kapital hat sich dabei der Schwerpunkt der unmittelbaren Kapitalakkumulationsprozesse in den Bereich des Finanzkapitals und damit auch des virtuellen Kapitals und der Spekulation verlagert. Diese Entwicklung bedient sich ebenso der Potenziale neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und technologischer Fähigkeiten wie der strategischen Leistungsfähigkeit neuer Management-Konzepte, v.a. im Bereich der Netzwerkbildung und –steuerung.
Diese Umwälzungen können verstanden werden als Versuch einer Antwort auf Verwertungsprobleme des Kapitals, die in den Grenzen des fordistischen Regulationsmodells nicht mehr zu bewältigen waren. Die neoliberale Revolution der Gegenwart zielt auf eine neue Konstellation der kapitalistischen Produktionsweise, die auf das fordistische Regulationsmodell folgen soll und in der computergestützten flexiblen Automation und Informationsverarbeitung und den daraus folgenden Organisations- und Arbeitssystemen seine Basis hat. Dabei konkurrieren sicherlich unterschiedliche Vorstellungen über die gesellschaftliche Organisation der Arbeit. Aber allen gemeinsam ist der strikte Blickwinkel einzelwirtschaftlicher Rationalität. In diesem Sinne herrscht ‚neoliberales Einheitsdenken‘, das als alternativlos dargestellt wird. Weltweit werden dadurch neue Schübe der Revolutionierung von Produktionsprozessen ausgelöst – von der Rekrutierung junger Frauen für Sweat-shops in China und Südostasien über die Industrialisierung einiger Schwellenländer bis zur zunehmenden ‚Tertiarisierung’ und z.T. ‚Deindustrialisierung’ in den führenden ‚Industrieländern’. Dadurch wächst zwar die Bedeutung von Wissen und kommunikativen Vermittlungsprozessen innerhalb der Produktionspro-zesse wie in der Realisierung der auf diese Weise geschaffenen Werte, es kommt aber nicht, wie immer wieder behauptet, zu einer Ablösung der Wertschöpfung von materiellen Prozessen, wie am weltweit steigenden Öl- und Stahlbedarf z.Zt. schlagend deutlich wird. Vielmehr werden die unterschiedlichen, ‚materiellen’ und ‚immateriellen’ Momente der Wertschöpfung im transnationalen Maßstab neu verortet. Dies geschieht unter der Dominanz eines Marktradikalismus, der sich als Träger einer historisch nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus alternativlos gewordenen ‚neoliberalen Konterrevolution’ begreift – gegen das ‚sozial-demokratische Jahrhundert’ der keynesianischen Hegemonie seit den frühen 1950er Jahren. Das führt zu Reallohnabbau, Entgeltpolarisierung und Massenerwerbslosigkeit in den Berei-chen der ‚alten Industrie’, und ergänzend zur Aufkündigung der wohlfahrtstaatlichen Klassenkompromisse, wie sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchgesetzt worden waren.
Eine neue Politik der Arbeit kann sich angesichts dieser Entwicklungen keine Rückkehr der nostalgisch verklärten Verhältnisse des Fordismus versprechen. Sie kann und muss aber daran arbeiten, die angebliche Alternativlosigkeit der neoliberalen Politik zurückzuweisen, indem sie konkrete Alternativen in den Bereichen der Wirtschafts- und Sozialpolitik, vor allem aber auch in dem Bereich einer bewusst gesellschaftspolitischen Gestaltung aller Arbeitsverhältnisse erkennt, wie sie in gegenwärtigen Auseinandersetzungen punktuell bereits erprobt oder eingefordert werden, um sie zu realitätstüchtigen alternativen Konzepten zu entwickeln.