Das Diskursprojekt und seine Anfänge

 

Der Start: "Von den Spandauer Fragen zu den Spandauer Thesen"

Das Diskursprojekt „Forum Neue Politik der Arbeit“ befasst sich seit 2002 mit strategischen Aufgabenstellungen für eine erneuerte gewerkschaftliche und gesellschaftliche Politik der Arbeit und für strategische Allianzen zwischen arbeitsbezogenen Wissenschaften und Gewerkschaften. Für die erste Jahrestagung in Berlin-Spandau (Pichelsee) wurden Kernfragen formuliert, die als Leitfaden die Tagung strukturieren halfen: Die „Spandauer Fragen“.

Entlang dieser Fragen wurden die darauf folgenden Veranstaltungen des Forum geplant, so dass offene Fragen vertieft und neue Fragen formuliert werden konnten. Für die Jahrestagung 2005 hatten die InitiatorInnen des Forums, angelehnt an die Ergebnisse der vorausgegangenen Diskurse, einige Thesen zur Debatte gestellt: Die „Spandauer Thesen“.

Im folgenden wird der Diskursprozess – von den Fragen zu den Thesen – mit ausgewählten Schwerpunkten nachgezeichnet; ausführliche Dokumentationen aller Veranstaltungen sind auf dieser Website zu finden.

Das, was Arbeit ist, sein soll, oder sein wird, unterliegt dramatischen Veränderungen. So steht die ‚Arbeitsforschung’ vor der Herausforderung, die eigene und die gesellschaftliche Reflexion dieser dynamischen Veränderungsprozesse zu befördern, wenn sie sich ein neues Fundament für ihre eigenen Gestaltungsansprüche schaffen will. Die gesellschaftlichen Transformationsprozesse sind tiefgreifend, sie entwerten vielfach vermeintlich gesicherte Erfahrungen aus der Praxis und der Wissenschaft.

Dem Diskursprojekt vorausgegangen war im Jahr 2000 eine Veranstaltungsreihe der Sozialforschungsstelle Dortmund mit dem Thema: „Neue Arbeit – neue Gesellschaft. Nach dem Umbruch“, die nicht das vermeintliche Ende der Arbeitsgesellschaft, wohl aber seine tiefgreifende Krise sowie die in ihr stattfindenden Metamorphosen der gesellschaftlichen Arbeit ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken sollte.

Fokussiert um thematische Blöcke wurde die Frage erörtert, wie die Veränderungen im System der Erwerbsarbeit, also im Zentrum der institutionell verfassten Arbeitsgesellschaft, in der Epoche des Fordismus unsere Gesellschaft verändern und weiter verändern werden und wo Ansatzpunkte einer politischen Gestaltung dieser Veränderungsprozesse zu finden sein könnten.

Das Leitmotto lautete: „Es gilt Neues neu zu denken, um gestalten zu können.“

Als Ergebnis dieser Veranstaltungsreihe entstand mit diesem Anspruch der erste Sammelband „Zwischen Selbstbestimmung und Selbstausbeutung - Gesellschaftlicher Umbruch und neue Arbeit“, der den Dialog zwischen handlungsorientierter Forschung, wissenschaftlicher Analyse und theoretischen Ansätzen spiegelt.

Mit der Eröffnung und Weiterführung eines derartigen Dialoges, so die Hoffnung der AutorInnen, ließe sich das Dilemma der heutigen Arbeitsforschung bewältigen, denn diese krankt offensichtlich an der Ausklammerung gesamtgesellschaftlicher Bezüge, so dass eine zukunftstaugliche Theorie als Gesamtes nicht zur Verfügung steht.

Die einzelnen Beiträge liefern fundierte Bausteine, um einerseits einen Überblick über den Stand der Debatte aufzuzeigen und darüber hinaus den Zugang zu den theoretischen Ansätzen verschiedener Forschungsdisziplinen auf verständliche Weise zu eröffnen. So decken die AutorInnen nicht nur sozialwissenschaftliche Zugänge ab, sondern auch die der politischen Wissenschaften, Geschichte und Wirtschaftswissenschaft bis hin zur radikalen Philosophie.

Der in der öffentlichen Debatte vorherrschende Diskurs bewegt sich dagegen noch immer in einem eingeschränkten Rahmen:

Im Vertrauen auf linearen technischen Fortschritt und mit der Eingrenzung von Arbeit auf Erwerbsarbeit ist im Ergebnis für das gesellschaftliche Denken über Arbeit die Triade von „Arbeit, Fortschritt und Glück“ prägend geworden. Doch spätestens seit Mitte der 80er Jahre ist dieser Traum, der die hochentwickelten Industriestaaten in der Epoche des Fordismus beschäftigt hat, ausgeträumt: Der kurze Traum immerwährender Prosperität ist vorübergegangen, die Sockelarbeitslosigkeit ist in jedem Konjunkturzyklus angestiegen. Die gewerkschaftlich-sozialdemokratische Kritik an der tayloristisch geprägten Organisation der Arbeit, die in der Spätphase des fordistischen Regulationsmodells zu neuen Ansätzen einer Arbeitspolitik geführt hatte, hat zunächst an Boden verloren und wurde dann seit Beginn der 90er Jahre plötzlich von den Unternehmen selbst neu adaptiert. Lean- und Total-Quality-Management, Beteiligung, Outsourcing und Dezentralisierung unternehmerischer Entscheidungsprozesse prägten das Bild und veränderten die Arbeit. Forcierte Tertiarisierung und technologisch induzierte Arbeitslosigkeit im sekundären Sektor umreißen Veränderungen und Verschiebungen im Arbeitsvolumen. Unternehmerische Steuerung durch Zielvereinbarungen und Selbststeuerung im Rahmen teilautonomer Gruppen charakterisieren Veränderungen in der Arbeit, welche die Industriesoziologie mit dem Begriff des „Arbeitskraftunternehmers“ zu definieren versucht, der ihrer Auffassung zufolge für den Postfordismus prägend werden wird.

Zentralbereich und Peripherien der sich polarisierenden Arbeitsverhältnisse bedingen sich dabei offenbar gegenseitig: Wer sich unter diesen Bedingungen im Zentrum des Systems der Erwerbsarbeit behauptet, ist mit den Problemen der Entgrenzung von Arbeit konfrontiert und zu neuen Formen des Zeitmanagements gezwungen: Zwischen selbstbestimmtem Zeithandeln und der Schaffung von Eigenzeit oder aber fremdbestimmten, jeweils zeitweiligen Anforderungen und notorischem Stress. Wer mit diesen dynamischen Veränderungen nicht mithalten kann, läuft Gefahr, als Arbeitskraft-Kleingewerbetreibender an den Rand des Systems der Erwerbsarbeit und einer darüber gesicherten Existenz gedrängt zu werden.

Die Debatte um die Zukunft der Arbeit und die Zukunft der Arbeitsgesellschaft wird angesichts dieser Entwicklung wieder einmal heftig geführt:

Geht es um mehr Beschäftigung, um Arbeit für alle, oder geht der industriellen Arbeitsgesellschaft die Arbeit aus? Gibt es in der neuen Dienstleistungs- oder Wissensgesellschaft neue Beschäftigungsmöglichkeiten für alle, die arbeiten wollen? Und reicht das Entgelt, um davon leben zu können? Hat sich im Zeichen eines tiefgreifenden Wertewandels der Stellenwert von Erwerbsarbeit für die Menschen verändert? Oder geht es um Entgrenzung von Arbeit, angesichts derer es den Einzelnen als „Unternehmern ihrer Arbeitskraft“ immer schwerer fällt, Zeitsouveränität gegen überbordende Ansprüche des Systems der Erwerbsarbeit zu behaupten?

In dieser Debatte werden nur diejenigen der entstandenen historischen Lage gerecht, die dafür argumentieren, dass es darauf ankommt, gegenüber dem engen Verständnis von Erwerbsarbeit zu einer Neubestimmung gesellschaftlicher Arbeit zu gelangen und damit zugleich zu einer höheren gesellschaftlichen Anerkennung vieler bislang nicht monetarisierter Tätigkeiten.

Zugleich ist eine deutliche Abgrenzung von vorschnellen Propheten geboten, die gleich das Ende der Erwerbsarbeit verkünden.

 

weiterlesen