Spandauer Thesen - These 7

 

Re-Regulierung im europäischen Rahmen

Eine Re-Regulierung muss auch im europäischen Rahmen von den Gewerkschaften in neuen Bündnissen erkämpft werden.

Die bisher nur national organisierten Gewerkschaften stehen vor der Herausforderung, den Sozialstaat im europäischen Zusammenhang zu erhalten, bzw. neu zu gestalten und neue Instrumente zur Sicherung der sozialen Grundrechte zu erstreiten. So sind sie in Zukunft Grundpfeiler jeder demokratischen Zivilgesellschaft.

Soziale Gerechtigkeit braucht – neben europaweiten Regelungen zum existenzsichernden Einkommen, zu verbindlichen Arbeitszeiten, zur Humanisierung der Arbeit usf. – auch in Zukunft Umverteilung durch solidarische Sozialstaatspolitik. Dazu sind transnationale europäische Bündnisse erforderlich, in denen die Gewerkschaften eine tragende Rolle übernehmen.

 

Begründung

Als immer noch wesentlich national verankerte Organisationen der lebendigen Arbeit stehen die Gewerkschaften heute vor der Herausforderung, sozialstaatliche Absicherungen der abhängigen Arbeit im europäischen Zusammenhang durchzusetzen und dabei zugleich neu zu gestalten. Zunehmend gilt es für sie, auf dieser Ebene neue Instrumente zur Sicherung der sozialen Grundrechte zu erstreiten. Nur so werden sie sich als unverzichtbare Akteure für die weitere Entwicklung eines sozialen und demokratischen Europa erweisen, das zugleich seinen Herausforderungen zu einer ökologischen Erneuerung gerecht werden kann.

Globalisierung, Europäisierung, die Neuzusammensetzung der Gesamtarbeiter und -arbeiterinnen unter neoliberaler Hegemonie und die wachsende industrielle Reservearmee führen zur Zeit zu erheblichen Mitgliederrückgängen bei den Gewerkschaften sowie zum wachsenden Bedeutungsverlust der Gewerkschaften in den nationalen Politikarenen.

Die Gewerkschaften stehen vor der Alternative, sich entweder als eine Art Versicherungsagentur auf die Vertretung der kurzfristigen Interessen ihrer kleiner werdenden Kernklientel in traditionellen industriellen Bereichen zurückzuziehen oder politische Strategien zu entwickeln, die auch die wachsende Zahl der prekär Beschäftigten, NiedriglöhnerInnen und Erwerbslosen anzusprechen vermögen, bei denen sie bislang nur schwach vertreten sind. Gerade derartige politische Strategien könnten sie aber auch interessanter machen für die wachsende Zahl von abhängig Arbeitenden, die - bei aller Intensivierung, Entgrenzung und Subjektivierung von Arbeit - in dieser auch gewachsene Freiheitsspielräume erfahren. Zwar sind die Einkommen dieser Beschäftigtengruppen in den 90’er Jahren eher gewachsen, doch sind auch diese Gruppen teilweise nur prekär abgesichert.

Auch sie haben ein Interesse daran, Intensivierungen und Entgrenzungen von Arbeit wieder zu begrenzen und Freiheitsspielräume abzusichern.

Solche Strategien könnten in dem Maße erfolgreich werden, wie es den Gewerkschaften gelingt, sich zu glaubwürdigen Vertretern des allgemeinen Interesses nach einer sozialen Infrastruktur demokratischer Zivilgesellschaft zu machen. Die breite Resonanz auf den Perspektivenkongress vom Mai 2004, den ein breites Bündnis von Gewerkschaften und Organisationen, wie ATTAC getragen hatte, hat gezeigt, dass hierfür in der Zivilgesellschaft Bündnispartner vorhanden sind.

Die Sicherung der sozialen Grundrechte muss heute aber auch mit europaweiten, bzw. europaweit aufeinander abgestimmten Regelungen gelingen. Existenzsichernde Einkommen zu erreichen, kann langfristig gelingen, wenn auch europäische Sicherungen gegen Lohndumping verbunden werden mit der Verhinderung der Durchsetzung von neoliberalen Regelungen wie GATTS -Abkommen, Bolkenstein -Richtlinie usw., sowie dadurch, dass sie durch neue Instrumente ergänzt werden, wie z. B. eine ausreichende soziale Grundsicherung, welche die Kosten des Arbeitsplatzverlustes wieder zu senken vermögen.

Eine wirksame europäische Handlungsfähigkeit von unten fängt vor Ort an – im Betrieb, in der lokalen Gruppe, im konkreten Netzwerk. Europäisierung setzt an den inneren Grenzen Europas an – etwa mit der Forderung nach gleichen Rechten für alle. Die Devise muss sein: Brüssel ist auch hier – Europa ist überall!

Nach dem Scheitern des Versuchs, den erreichten Stand und die neoliberale Hegemonie in der europäischen Integration durch einen Verfassungsvertrag zu fixieren, wird es darum gehen, in neuen transnationalen Bündnissen den in den bisherigen technokratisch bzw. neoliberal dominierten Entwicklungsphasen der EU einen neuen demokratischen, ökologischen und sozialen Inhalt zu geben.

Auch müssten verbindliche Arbeitszeitregelungen und Programme zur Humanisierung der Arbeit, zum Gesundheitsschutz etc. auf europäischer Ebene abgestimmt und insgesamt so gestaltet werden, dass sie auch in neuen Beschäftigungsformen und Tätigkeitsfeldern greifen, die nicht den traditionellen Formen des Normalarbeitsverhältnisses unterliegen. Ohne Umverteilungen durch solidarische Sozialstaatspolitik und europaweit aufeinander abgestimmte Fiskalpolitiken werden hingegen Erwerbslosigkeit und wirtschaftliche Stagnation sowie rechtspopulistische Nationalismen und sozialdarwinistische Ideologien weiter zunehmen.

 

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