Neue Wirtschaftdemokratie
Eine Einführung - Teil 3
Kulturelle Auseinandersetzungen und demokratische Transformationen
Neue Wirtschaftsdemokratie bricht mit den immer noch vorherrschenden neoliberalen Glaubenssätzen und bezeichnet ein Konzept vielfältiger praktischer Handlungsansätze auf eine offene Zukunft hin. Die gesellschaftliche Auseinandersetzung um Demokratie in der Wirtschaft / Neue Wirtschaftsdemokratie ist deshalb eine kulturelle Auseinandersetzung auf allen Ebenen der Gesellschaft. Es geht um demokratische Transformationen auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen (Arbeitsplatz, Betrieb, Unternehmen Kommune, Region usw.). Es geht also, wenn man die Forderung ernst nimmt, „das Ganze der Arbeit“ bei einer demokratischen Erneuerung der Gesellschaft ernst zu nehmen, auch um demokratische Rechte der Menschen als Konsumenten von Waren und Dienstleistungen, den Ausbau ihrer Teilhabe(möglichkeiten) am kommunalen Leben usw. Es geht um viele (unterschiedliche) Transformationen mit unterschiedlichen Praxen, die das Neue im Alten sein können und sind. Die Durchschlagskraft neuer wirtschaftsdemokratischer Vorstellungen ist deshalb in hohem Maße davon abhängig, dass und wie es gelingt, in einer solchen basisdemokratischen Perspektive die eingetretene Abgehobenheit gesellschaftlicher Funktionseliten nicht nur überzeugend zu kritisieren, sondern ihren Projekten auch konstruktive Alternativen entgegen zu stellen. Dabei ist nicht zu bestreiten, dass man auch zukünftig vergleichbare Funktionseliten benötigen wird; aber im politischen Prozess der Gesellschaft, der eben auch den öffentlich höchst relevanten Raum einer privatrechtlich verfassten Wirtschaft einschließen muss, ist das Recht der aktiven Teilhabe Aller als „Recht der Rechte“ - also auch der prekär Beschäftigten im Niedriglohnbereich immer wieder offensiv einzuklagen und durchzusetzen. (S.35)
Viele globale Praxen – und eine vorläufige allgemeine Definition der Fragestellung nach einer Neuen Wirtschaftsdemokratie
Alles bisher Gesagte bezieht sich auf einen nationalstaatlich gesetzten Handlungsrahmen mit den darin zu unterscheidenden unterschiedlichen Handlungsebenen. Wir leben aber heute, durchaus glücklicherweise, in einer den nationalstaatlichen Rahmen übergreifenden Europäischen Union. Dieses Europa ist zwar in den beiden letzten Jahrzehnten im Rahmen einer neoliberalen Agenda konzipiert und weiter entwickelt worden, aber auch auf dieser Ebene gilt in einer radikaldemokratischen Perspektive gegen das hayekianische Projekt der fortschreitenden Aushöhlung demokratischer Selbst- und Mitgestaltung durch die Bürger als den eigentlichen Souverän: „Europa sind wir“ (Scholz u.a. 2009). Neue Wirtschaftsdemokratie muss deshalb heute, ausgehend von entsprechenden Veränderungen je nationaler Wirtschaftspolitiken europäisch konzipiert und darüber hinaus global und kulturell heterogen gedacht und vorangebracht werden. Neue Wirtschaftsdemokratie kann somit viele Formen haben und bedeutet deshalb zunächst einmal keine einheitliche Praxis erneuerter und erweiterter gesellschaftlicher Regulation im je nationalstaatlichen Rahmen. Sie wird hier vielmehr – an den gleichen einleitend zu diesem Kapitel formulierten Prinzipien orientiert – an national unterschiedlich ausgeprägte Situationen und Regelungskomplexe anknüpfen müssen. „Französische Verhältnisse“ z. B. sind nun einmal etwas anderes als die stark institutionalisierten Muster, wie sie die deutsche Wirklichkeit „industrieller Beziehungen“ nach wie vor prägen. (S.36)
Unser vorläufiges Verständnis dessen, worum es in einer „neuen Wirtschaftsdemokratie“ geht, lässt sich auf der Grundlage der bisherigen Überlegungen normativ (wie folg)t umreißen, wohl wissend, dass die historisch, dialektischen Herausforderungen zu einem begrifflich zugleich präzisen und hinreichend differenzierten Verständnis einer entsprechenden gesellschaftlichen Praxis damit noch längst nicht bewältigt sind. (S.36)
Neue Wirtschaftsdemokratie zielt auf eine Stärkung und lebendige Aneignung demokratischer Rechte jedes Einzelnen und damit der Menge der Vielen in Wirtschaft und Gesellschaft, die traditionell als die zu fürchtende „Masse“ begriffen wird. Die gesellschaftliche Entfaltung der Produktivkraft der Arbeit und neue Produktionskonzepte eröffnen solchen Demokratisierungsprozesse heute zumindest potenziell neue Chancen. Die Einführung und/oder Stärkung demokratischer Gestaltungs- Mitbestimmungs- und Kontrollrechte in der privatrechtlich verfassten Sphäre der Wirtschaft kann somit neue Perspektiven erhalten. Ein solcher Prozess ist nur denkbar im Rahmen einer erneuerten keynesianischen Wirtschaftspolitik, die den ganzen Keynes zur Kenntnis nimmt und die in Europa auf Ebene der EU ansetzen müsste. Sie wäre in einem solchen Rahmen mit einer Stärkung schon vorhandener Institutionen auf den schon benannten unterschiedlichen Ebenen (von Arbeitsplatz/Betriebs/Unternehmen, Region und Gesamtwirtschaft) zu verknüpfen – einschließlich der Frage nach neuen Strukturen, etwa im Hinblick auf eine an den Interessen der Menschen und nicht vor allem an den Renditeerwartungen der Wirtschaft orientierten Gesellschaftspolitik. Neue Wirtschaftsdemokratie ist so „von unten“ wie „von oben“ zu denken und zu entwickeln. Sie zielt damit auf die Zurückdrängung zerstörerischer Konkurrenz und die Stärkung von wirtschaftlichen Kooperationsbeziehungen. Verbunden damit ist eine immer stärkere Orientierung der Ökonomie an Nachhaltigkeit und gesellschaftlichem Nutzen von Produkten und Dienstleistungen zu Lasten der immer kurzfristiger kalkulierten Verwertungslogik des immer noch herrschenden Shareholder-Kapitalismus. Neue Wirtschaftsdemokratie ist stabil nur denkbar im Rahmen einer regulierenden staatlichen Wirtschaftspolitik, die statt aus der Froschperspektive einzelwirtschaftlicher Rationalität unter Gesichtspunkten gesamtwirtschaftlicher und gesamtgesellschaftlicher Rationalität betrieben wird. Diese Anforderung gilt auch gegenüber staatlicher Industrie- und Strukturpolitik. Dass dies heute in Europa mit korrespondierenden Veränderungen der Wirtschaftspolitik auf europäischer Ebene verbunden sein muss (vgl. Scholz u.a. 2009), liegt auf der Hand. (S. 37) (...)